6 Monate – Halbzeit

​Heute, 04.02.2017, ist es tatsächlich soweit – wir sind nun bereits ein halbes Jahr mit unseren Rädern unterwegs! Ein guter Grund um mal zurück zu blicken, da man einerseits manche Sachen im Nachhinein ein wenig anders sieht, andererseits wir auch nicht alles  in unseren Blog Beiträgen erwähnt haben (wenn man immer so aktuell wie wir schreibt, neigt man leider dazu manche Sachen, insbesondere Probleme, nicht zu erwähnen…).

Als erstes möchten wir betonen, dass wir sechs wunderbare Monate an den verschiedensten Orten auf dieser Welt verbringen durften. Wir sahen faszinierende Landschaften und wurden so oft von ganz lieben Menschen angestrahlt – in den USA, sowie auch in China oder Südostasien (in Island hießen die Schafe, anstatt der Menschen uns willkommen, da wir kaum einen Isländer sahen…). Nur sehr selten fühlten wir‎ uns unwohl an einem Ort. Es tut gut zu wissen, dass es trotz all der Krisen und Probleme trotzdem noch schön auf der Welt ist!!! Wenn wir uns das ein oder andere Mal die Bilder von unserer bisherigen Reise anschauen, so können wir manchmal kaum glauben, dass wir das alles schon sehen durften (und das nicht nur wegen Johannes‘ tollen Bildern!).

Unser Alltag wurde durch’s Radfahren geprägt. Man denkt eine grosse Umstellung, insbesondere für zwei Bürostuhlsitzer wie wir es waren, doch eigentlich gewöhnt man sich überraschend schnell daran (erst recht, wenn der Sattel nicht mehr schmerzt…). Noch immer ein wenig komisch finden wir das (fast) tägliche nomadenartige Weiterziehen. Wir suchen uns abends ein schönes Plätzchen zum schlafen, richten uns ein, doch am nächsten Morgen „müssen“ wir bereits alles wieder zusammen packen um weiter zu ziehen – immer ein wenig mit der Ungewissheit, ob man am Abend auch wieder ein angenehmes Plätzchen findet. Doch das Gefühl, dass man doch lieber einfach „stehen“ bleiben möchte war meist nur immer kurz (ausser wenn die Kraft in den Beinen fehlte…). Die Neugierde überwiegt und da man so überraschend viele faszinierende Sachen auf seinem Weg sieht, lässt sie zum Glück bei uns auch (noch) nicht nach. Man sitzt auf dem Rad und schaut in der Gegend umher und die vielen unbekannten Dinge treiben einen an in die Pedale zu treten – und das geht nun fast 10 000 Kilometer so dahin!

In den letzten 6 Monaten haben wir beide auch deutlich mehr als zu Hause geschlafen. Wir lagen meist im Zelt sobald es Dunkel war und standen auf, wenn die Sonne aufging (bzw. die Temperaturen angenehm waren). Dazwischen (meist über 12 Stunden) konnten wir soviel schlafen wie wir bzw. unser Körper wollte.

Eine grosse Herausforderung, wenn man mit dem Rad durch die Welt fährt ist, wie auch bei vielen anderen Sachen im Leben, die Ansprüche an einen selbst nicht zu hoch zu stecken.‎‎ Es passiert so schnell, dass man die Erwartung hat sehr viele Kilometer pro Tag zu fahren, den schönsten Blog zu führen, die anspruchsvollsten und meisten Länder in kurzer Zeit bereist zu haben, etc. Auch uns ist das hin und wieder passiert – insbesondere die Kilometerleistung pro Tag. So dachten wir, dass es doch nicht sein kann, dass wir heute nur 50 Kilometer gefahren sind – wir vergessen dann oft, dass wir ja noch so viel anderes ausser Radfahren täglich machen (Zelt auf- und abbauen, Lebensmittelgeschäft suchen, Essen kochen, Wasser filtern, Essen, Platten reparieren, Menschen treffen,… usw.). 

Wir müssen uns auch das ein oder andere Mal eingestehen, dass wir einfach zwei unter Tausenden von Radfahrern weltweit sind. Wir hatten anfänglich ein wenig das Gefühl etwas ganz spezielles zu machen – aber nein, mit dem Rad zu reisen und ein wenig Blog zu schreiben ist heutzutage gar nichts Spezielles mehr! Wir treffen so viele andere Radfahrer…

Bis jetzt gab’s während unserer Reise schwierige Situationen. Die erste war bereits zwei Wochen nach Abreise. Ganz plötzlich und ohne erkennbaren Grund war Regula’s linke Gesichtshälfte komplett gelähmt. Auf Grund des wahrscheinlich anfänglichen Übermutes und der Tatsache, dass sie keinerlei Schmerzen verspürte, nahmen wir beide die Situation nicht so wirklich ernst. „Der Nerv wird ein wenig beleidigt sein auf Grund des vielen Windes…“, so dachten wir. Zum Glück bekam durch Zufall wenige Tage später eine deutsche Ärztin, die gerade auch in Island am Reisen war, Regula’s Gesicht zu Gesicht. Sie erschrak, telefonierte sogleich mit einer befreundeten Neurologin und stellte schon gleich mal die Diagnose: Periphere Faszialisparese (wie aus dem Lehrbuch…). Sie erklärte uns was ich nun alles zu tun hätte (Cortison, Auge zu binden damit es nicht austrocknet, etc.), aber auch, dass es bleibende Schäden mit sich ziehen kann. Da bekamen wir beide einen Schreck und verstanden plötzlich nicht mehr, wieso wir nicht gleich nach Reykjavik zum Arzt gegangen sind. Die Lähmung liess zum Glück schon bald merklich nach (aber wenn man ganz genau schaut, dann sieht man noch heute, dass da mal was war…). Vielleicht hat sich der ein oder andere von euch bereits schon gefragt, wieso’s in Island eine zeitlang nur Fotos von Regula von hinten gibt – jetzt kennt ihr den Grund…

Um Borreliose als Ursache für die Gesichtslähmung komplett ausschließen zu können, folgten dann auf Anraten von schweizerischen und isländischen Ärzten noch 4 Wochen Antibiotika. Und als wäre das alles nicht schon genug, so verfärbten sich dann noch Regula’s Fingernägel gelblich. Da wir das nicht kannten und es oft kalt war (das könnten ja Frostbeulen sein…), übersah Regula noch fast einen ganzen Monat den Nagelpilz (den bekommt man anscheinend gerne, wenn man lange Antibiotika genommen hat…). Da Johannes Regula dieses Mal nicht nochmals alleine „leiden“ lassen wollte bekam er in der täglichen Hitze / nächtlichen Feuchte von Utah’s Wüsten Fußpilz (auch zum ersten Mal in seinem Leben…). Und so führten wir mehrere Wochen lang Krieg gegen die Pilze (es scheint momentan so als ob wir gesiegt hätten). Auch wenn das alles nach vielen gesundheitlichen Problemen klingt, so hatten wir doch das Glück, dass wir beide bis jetzt noch keinen einzigen Sturz mit dem Rad gebaut haben (ok, Regula ist einmal an einer Kreuzung in China umgekippt weil sie vergessen hatte aus den Klickpedalen auszusteigen), noch anderweitig krank wurden. Zu erwähnen ist jedoch, dass Johannes einmal in Laos ein wirklich riesig großes Glück hatte als ein entgegenkommender Geländewagen mit weit überhöhter Geschwindigkeit plötzlich über eine Kuppe auf Johannes Straßenseite daher kam in den sehr tiefen Straßengraben fuhr und nur ein paar Meter vor Johannes wieder aus dem Straßengraben regelrecht herauskatapultiert wurde und wieder auf der richtigen Spur landete. Das war sehr knapp, aber der Autofahrer war danach wohl mehr geschockt als Johannes.

Der zweite schwierige Moment auf unserer Reise, war die Zeit in Hongkong. Regula’s Rad war schwer beschädigt, wir hatten eine miese Unterkunft gebucht, Weihnachten Stand vor der Tür, der Abschied von den USA fiel schwerer als gedacht und wir befanden uns vor einem der größten Ballungszentren von China. Wir stellten uns immer wieder die Frage: „Sollen wir uns China wirklich noch antun?“. Wir waren ganz nah dabei einen Flug nach Südostasien zu buchen – weg von diesem angsteinflössenden riesigen Land – und unsere Route neu zu planen (wirklich nach Hause zu gehen stand nie wirklich lange zur Diskussion…). Der Grund, dass wir in letzter Sekunde doch nicht auf „Buchen“ gedrückt haben, war, dass wir einerseits nach einer drei wöchigen Pause einfach aufs Rad steigen wollten und andererseits wir in China von einem sehr netten Warmshower Host erwartet wurden (wie gut, dass es Warmshowers gibt…). Schon nach wenigen Kilometern auf Chinas Straßen waren wir froh, „geblieben“ zu sein, denn alles war gut…

Ein paar Worte noch zur Ausrüstung, da sie doch eine ziemlich zentrale Rolle auf unserer Reise spielt. Generell sind wir sehr zufrieden mit unseren Rädern, Campingausrüstung und Kleidern. Insbesondere Regula tätigt hin und wieder mal die Aussage „dieses Ding brauchen wir nun wirklich nicht – können wir’s nicht nach Hause schicken?“. Nun ja, wir müssen schon zugeben, dass wir das ein oder andere zuviel eingepackt haben (Regula konnte Johannes auch schon überzeugen, das ein oder andere nach Hause zu schicken…), doch um viele Dinge waren wir irgendwann doch noch froh. So kam es vor, dass wir Ausrüstungsgegenstände in einem Land gar nicht benötigten (zum Beispiel Wasserfilter in Island und USA) und in einem anderen waren diese essentiell (zum Beispiel Wasserfilter in China und Südostasien). Man darf auch nicht vergessen: Wirklich ins Gewicht gehen Lebensmittel- und Wasservorräte auf dem Rad und nicht der Wasserfilter! 

Wirklich froh sind wir auch, dass wir nicht wie andere Radfahrer unsere ‎Campingausrüstung vor Südostasien nach Hause geschickt haben, denn wir hatten’s uns auch kurz überlegt… Auch wenn diese nicht leicht ist, sie gibt einem eine unheimlich grosse Freiheit und wie ihr in unseren Blogbeiträgen sehen könnt, kann man auch in Südostasien sein Zelt am Straßenrand aufstellen und was feines kochen.

Unsere aktuelle Herausforderung ist die Frage „wie weiter – was wollen wir noch in den verbleibenden gut sechs Monaten sehen?“. Wir lesen Reiseführer und unendlich viele Blogs von anderen Radfahrern (nur nebenbei: sehr empfehlenswert, da einige davon erstklassig sind), doch wirklich so eine Antwort haben wir noch immer nicht beziehungsweise je mehr wir lesen, desto schwieriger wird es, denn umso mehr Abenteuer wollen auch wir noch erleben. Schon manchmal hätten wir uns gewünscht nicht schon soviel gelesen zu haben, sondern einfach unserem Bauchgefühl vertrauen zu können. Leider sind wir beide nicht der Typ dafür und so lesen wir weiter…Aber wir sind uns sicher, dass auch wir noch eine Entscheidung fällen werden.

Nun noch ein paar Zahlen zum Schluss: In den letzten 6 Monaten sind wir 9685 Kilometer gefahren, 645 Stunden im Sattel gesessen und haben für’s Reisen (ohne Flüge – die haben bisher etwa 2000€ mit Rädern gekostet) insgesamt ca. 10 000 Euro zusammen gebraucht. Wir haben die letzten 6 Monate sehr intensiv zusammengelebt und haben auch neue Dinge über den anderen erfahren (Regula wird nie vergessen, wie penibel Johannes die Räder putzen kann, so dass sie immer wieder mal wie neu ausschauen…). Natürlich war’s nicht immer nur einfach, doch meist hatten wir es sehr gut zusammen und so haben wir uns auch nach 6 Monaten Reisen (und 10 Jahren Beziehung – ja, wir haben heute gerade auch Jahrestag!) noch immer sehr gern – und das ist das Wichtigste!